Im Würgegriff der Sozialversicherungspflicht
Die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nimmt eine ungute Entwicklung und führt dazu, dass weit mehr Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht unterfallen als bislang angenommen. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Beispiel Nummer 1: Der GmbH-Gesellschafter
Arbeitet ein GmbH-Gesellschafter mit einem Anteil am Stammkapital von 50 % im Unternehmen mit, wird entgegen früherer Rechtsauffassung diese Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit angesehen (BSG 13. Dezember 2022 – B 12 KR 16/20R). Nach früherer Rechtsprechung genügte die sogenannte Sperrminorität als Gesellschafter, die Sozialversicherungsfreiheit zu rechtfertigen, weil mit der Sperrminorität gesellschaftsrechtliche Weisungen durch die übrigen Gesellschafter verhindert werden konnten. Jetzt verlangt das Bundessozialgericht, dass der Gesellschafter alleinige Gestaltungsmacht haben müsse, um der Sozialversicherungspflicht zu entgehen.
Beispiel Nummer 2: Lehrer und Dozenten
Aufgrund einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 (B 12 R 3/20R) vertreten jetzt die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung, dass die Statusbeurteilung von Lehrern und Dozenten in jeder Art von Schulungseinrichtungen neu zu justieren ist. Es wurde ein Katalog von Kriterien aufgestellt, die für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sprechen, und zwar:
- Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung
- Festlegung bestimmter Unterrichtszeiten und Unterrichtsräume
- Eine Meldepflicht bei Unterrichtsausfall aufgrund Erkrankung oder sonstiger Verhinderung
- Kein Einfluss auf die zeitliche Gestaltung der Lehrtätigkeit
- Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung besonderer Schülerveranstaltungen
- Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen oder ähnlichen Dienst- oder Fachveranstaltungen der Schuleinrichtung
- Keine eigene betriebliche Organisation
- Kein Unternehmerrisiko
- Keine unternehmerischen Chancen, weil z. B. die gesamte Organisation des Schulbetriebs in den Händen der Schuleinrichtung liegt und keine eigenen Schüler akquiriert und auf eigene Rechnung unterrichtet werden.
Auf die Frage, ob der Unterricht selbst gestaltet ist oder auf der Grundlage von Lehrplänen zu erfolgen hat, wird nicht mehr als geeignetes Differenzierungskriterium angesehen.
Diese beiden Beispiele belegen den Kurs des Bundessozialgerichts, möglichst viele Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen. Die Schulbetriebe stehen schon seit mehr als zehn Jahren unter Druck und werden ihre Beschäftigungsverhältnisse mit freiberuflichen Lehrern noch einmal neu zu überprüfen haben. GmbH-Gesellschafter und Geschäftsführer, die sich bislang auf sicherem Terrain befunden haben, werden im Zuge der nächsten Sozialversicherungsprüfung möglicherweise ihr blaues Wunder erleben.
Vorsichtiges und rechtssicheres Handeln ist geboten, da die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen für ein Unternehmen zu ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen kann, wenn für vier Jahre zurück Beiträge erhoben werden. Die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen ist auch ein Straftatbestand, bedroht mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.and