Die Zeit der Entgeltungleichbehandlung ist endgültig vorbei. Schon heute!
Die am 24. April 2023 vom Rat der Europäischen Union angenommene Entgelttransparenzrichtlinie soll die Wende im langjährigen Bestreben, gleiches Entgelt für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen, bringen. Und das auf unionsrechtlicher Ebene. Schon jetzt besteht für die Arbeitgeber im Land Handlungsbedarf.
Was kommt auf den deutschen Gesetzgeber zu?
Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet die Richtlinie, die bisherigen Regelungen, insbesondere die des Entgelttransparenzgesetzes, zum Teil grundlegend zu ändern. Der Gesetzgeber hat für die Umsetzung der Richtlinie drei Jahre, gerechnet ab Veröffentlichung der Richtlinie im EU-Amtsblatt, Zeit.
Die Richtlinie enthält im Wesentlichen die nachfolgenden Neuerungen, denen sich der deutsche Gesetzgeber zu widmen hat:
- Art. 5 EntgTranspRL: Entgelttransparenz vor der Beschäftigung
Bewerbern wird gegenüber eines potentiellen Arbeitgebers das Recht auf Mitteilung des „Einstiegsentgelts für die betreffende Stelle oder dessen Spanne“, eingeräumt. Darüber hinaus müssen Arbeitgeber Bewerbern die einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die ausgeschriebene Stelle anwendet, mitteilen. Die Informationen sind ausweislich der Richtlinie in einer Form bereitzustellen, dass „fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, wie beispielsweise in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise.“
- Art. 7 EntgTranspRL: Auskunftsrecht
Arbeitnehmer sollen künftig vom Arbeitgeber Auskunft über die durchschnittlichen Entgelthöhen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, erhalten. Dabei ist es – im Gegensatz zum bisherigen Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz – ohne Bedeutung, wie viele Mitarbeiter der Arbeitgeber beschäftigt. Abweichend vom Entgelttransparenzgesetz stellt die Richtlinie nicht auf den statistischen Median, sondern auf die „durchschnittlichen Entgelthöhen“ ab.
- Art. 9 EntgTranspRL: Berichterstattung über das Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Die Richtlinie erweitert nicht nur die Auskunftspflichten des Arbeitgebers, es treten umfangreiche Berichtspflichten hinzu. Jedenfalls für Arbeitgeber, die mindestens 100 Mitarbeiter beschäftigen. Dem nationalen Gesetzgeber steht es jedoch offen, auch kleineren Unternehmen Berichtspflichten aufzuerlegen. Arbeitgeber haben Informationen „zu ihrer Organisation“, wie beispielsweise das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle, vorzulegen. Welche konkreten Informationen vorzulegen sind, ist in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie festgeschrieben. Ab wann und wie häufig die Berichtspflichten greifen, ist abhängig von der Unternehmensgröße.
- Art. 10 EntgTranspRL: Gemeinsame Entgeltbewertung
Lässt sich aus den Berichten des Arbeitgebers nach Art. 9 EntgTranspRL ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von mindestens 5 % erkennen und kann der Arbeitgeber das Gefälle nicht mit objektiven, geschlechtsneutralen Faktoren begründen, muss der Arbeitgeber „in Zusammenarbeit mit“ seinen Arbeitnehmervertretern eine Lohnbeurteilung durchführen.
- Art. 23 EntgTranspRL: Sanktionen
Um die Entgeltgleichheit durchzusetzen, verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedsstaaten, Sanktionen festzulegen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sind. In Betracht kommen beispielsweise Geldbußen, die sich am Jahresumsatz oder der Gesamtentgeltsumme des Abreitgebers orientieren. Die konkrete Ausgestaltung obliegt den nationalen Gesetzgebern.
Was bedeutet die Richtlinie für Arbeitgeber?
Die Richtlinie selbst muss zunächst einmal vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden. Hierfür werden ihm drei Jahre eingeräumt. Doch darauf können sich Arbeitgeber im Land nicht ausruhen. Schon vor Umsetzung der Richtlinie besteht für Arbeitgeber Handlungsbedarf. Grund hierfür ist die sogenannte horizontale Direktwirkung des Primärrechts der Europäischen Union, wodurch im Primärrecht niedergelegte Ansprüche direkt zwischen Privaten Anwendung finden, ohne dass es eines Umsetzungsakts in nationales Recht bedarf.
Die Richtlinie konkretisiert das als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zu verstehende Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dieser in Art. 21 Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Grundsatz verbietet jede Diskriminierung wegen des Geschlechts. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau in Beschäftigung und Beruf hat somit auf Unionsebene seinen Ursprung nicht in der Entgelttransparenzrichtlinie, sondern in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, also im Primärrecht. Diese Feststellung ist deshalb so wichtig, weil das Primärrecht der Charta trotz der möglichen Konkretisierung durch eine Richtlinie direkt zwischen Privaten wirkt (sogenannte horizontale Direktwirkung). Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verleiht das Diskriminierungsverbot des Art. 21 GRCh schon für sich allein dem Einzelnen ein subjektives Recht, auf das er sich berufen kann.
Fazit
Ob die Richtlinie tatsächlich die Grundlage für eine abnehmende Gender Pay Gap schafft, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden. Sicher ist jedenfalls, dass für Arbeitgeber aufgrund der horizontalen Direktwirkung des Diskriminierungsverbots in Art. 21 GRCh schon jetzt Handlungsbedarf besteht, denn die Zeit der Entgeltungleichbehandlung gehört endgültig in die Vergangenheit.
Der nationale gesetzliche Rahmen, der sich aus der Richtlinie ergeben wird, lässt sich schon zum jetzigen Zeitpunkt abschätzen. Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, eine betriebsinterne Bestandsaufnahme zu machen und – angelehnt an die Regelungen der Entgelttransparenzrichtlinie – Maßnahmen zu ergreifen. Gerade vor dem Hintergrund der erweiterten Auskunftsrechte und Berichtspflichten ist es ratsam, schon jetzt Schritte einzuleiten, um die zu erwartete bürokratische Flut, die spätestens mit Umsetzung der Richtlinie zu erwarten ist, einzudämmen.