Neues Einwanderungsgesetz: Wie Deutschland Fachkräfte anwerben will

Die Zahl offener Stellen im Bundesgebiet lag vergangenes Jahr bei rund 1,98 Millionen. Dem will der Gesetzgeber nun Abhilfe schaffen und brachte vergangenen Freitag das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg. 

Das Gesetz soll die von der Bundesregierung entwickelte Fachkräftestrategie, die im Wesentlichen auf der Förderung inländischer Potenziale beruht, ergänzen. Es zielt darauf ab, die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte zu erleichtern. Bundesarbeitsminister Heil betonte, das neue Gesetz zeige, dass Deutschland „qualifizierte Zuwanderung nicht nur hinnimmt, sondern auch will“. 

Welche neuen Wege schlägt das Gesetz ein? 

Die Einwanderung ausländischer Fachkräfte soll künftig mittels dreier Wege erleichtert werden. Die Regelungen im Detail: 

  • Qualifikation: Inhaber der Blauen Karte EU konnten schon in der Vergangenheit mit anerkannten Abschluss nach Deutschland kommen, wenn sie insbesondere eine Bruttojahresvergütung von mindestens 58.400,00 € nachweisen konnten. Das neue Gesetz senkt nun die Gehaltsschwelle für Beschäftigte in den Berufsfeldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Humanmedizin auf 45.552,00 €, kürzt die Dauer der Berufserfahrung und verzichtet auf den Nachweis von Deutschkenntnissen. 
  • Erfahrung: Können Personen einen im Ausland erworbenen anerkannten Abschluss und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen, dürfen sie künftig als Fachkraft in Deutschland arbeiten. Der Abschluss muss nicht zuvor in Deutschland anerkannt werden. Das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren. Für diese Personen wird ein Mindestgehalt festgelegt, um langfristig eine gute Perspektive auf dem Arbeitsmarkt sicher zu stellen.  Wer diese Gehaltsschwelle nicht erreicht, muss seinen Berufsabschluss in Deutschland anerkennen lassen. Neu ist, dass die Personen bereits in Deutschland arbeiten dürfen, während das Anerkennungsverfahren noch läuft, sofern sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitskraft für eine notwendige Qualifikation freizustellen.
  • Potenzial: Für Menschen, die zwar kein Arbeitsplatzangebot nachweisen können, aber Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen, wird eine Chancenkarte eingeführt. Die Karte wird anhand eines Punktesystems vergeben. Wer auf eine Punktzahl von mindestens 6 kommt, erwirbt eine Chancenkarte, sofern der Lebensunterhalt gesichert ist. Punkte werden für insgesamt 12 Kriterien, wie beispielsweise Qualifikation, Alter, Sprachkenntnisse, vergeben. Wer die Karte erhält, darf für ein Jahr nach Deutschland kommen, um einen Job zu suchen. Sie kann um bis zu zwei Jahre verlängert werden, wenn es einen Arbeitsvertrag für eine qualifizierte Beschäftigung gibt und die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat. 

Gibt es weitere Erleichterungen?

Ja, und zwar in Form einer Verordnung, die nicht vom Bundestag beschlossen, sondern vom Arbeitsministerium erlassen wird. Diese sieht im Wesentlichen die folgenden Neuregelungen vor:

  • Die bis Ende 2023 befristete sog. Westbalkan-Regelung wird entfristet. Arbeitgeber können künftig jährlich 50.000 Arbeitskräfte aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, der Republik Nordmazedonien, Montenegro und Serbien anwerben. 
  • Die Verordnung soll ein Zuwanderungs-Kontingent für unqualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Ländern als dem West-Balkan vorsehen, die einen Arbeitsplatz in Deutschland nachweisen. 
  • Künftig haben junge Leute einen Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung, wenn sich keine anderen Ausbildungsmöglichkeiten finden.
  • Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt bei Weiterqualifizierung die Lohnzahlung in Höhe von bis zu 67 % des Netto-Gehalts (sog. Qualifizierungsgeld).

Hält das Gesetz, was es verspricht? 

Aus den Reihen der Opposition wird diese Frage verneint. Es wird ins Feld geführt, das Gesetz ziele auf die Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt ab und biete ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige. Die Anforderungen an die Qualifikation der Zuwanderer werde massiv gesenkt. Das Gesetz sei daher keine Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen aus dem Jahr 2020, sondern ein Risiko, welches das Fachkräfteproblem im Land nicht zu lösen vermag. 

Ob sich diese Kritik bewahrheitet, bleibt abzuwarten. Aber selbst wenn das Gesetz die Lücke des Fachkräftemangels nicht vollständig schließen kann, markiert es eine Wende: Deutschland hat verstanden, dass es ein Einwanderungsland ist. Und das ist der erste und vor allem richtige Schritt, dem Fachkräftemangel zu begegnen. 

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