Dauerbrenner sachgrundlose Befristung – Die aktuelle Rechtssprechung zum „Bereits-Zuvor“ Arbeitsverhältnis

Wie viel Zeit muss vergehen, damit eine in der Vergangenheit liegende Beschäftigung einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegensteht? Die Frage nach dem sog. „Bereits-Zuvor“ Arbeitsverhältnis bewegt die Rechtsprechung seit langer Zeit. Nachdem der 7. Senat des BAG über viele Jahre eine arbeitgeberfreundliche Auslegung des Gesetzes befürwortet hat, kam es aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2018 zur großen Kehrtwende. Was ist seither geschehen?

Die gesetzliche Ausgangslage und Regelungszweck

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Das gilt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG aber nur, wenn nicht „bereits zuvor“ ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestanden hat. Im Gesetz heißt es wörtlich:

Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. […]

§ 14 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 TzBfG

Durch den Ausschlusstatbestand in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sollen sog. Kettenbefristungen beim selben Arbeitgeber vermieden und damit das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform gewährleistet werden.

Folgt man dem Wortlaut des Gesetzes so führt jedes in der Vergangenheit liegende befristete oder unbefristete Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber zu einem Verbot der sachgrundlosen Befristung – ungeachtet der Frage, wie lange die frühere Anstellung zeitlich zurückliegt und wie sie inhaltlich ausgeprägt war.

Der für Befristungsfragen zuständige 7. Senat des BAG sah dies lange Zeit anders. So entschied der Senat mit Urteil vom 21. September 2011 (7 AZR 375/10), dass die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig ist, wenn die Vorbeschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber mehr als drei Jahre zurückliegt. In den Entscheidungsgründen heißt es:

[…] Ein Zeitraum von drei Jahren ist geeignet, erforderlich und angemessen, um diesen Zweck zu erreichen. Mit ihm wird eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit vermieden. Die Zeitspanne entspricht der gesetzgeberischen Wertung, die in der Dauer der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist nach § 195 BGB zum Ausdruck kommt. ese durch rechtsfortbildende zeitliche Konkretisierung gefundene Dreijahresfrist schließt missbräuchliche Befristungsketten sicher aus.

Zitat aus dem BAG Urt. v. 21. September 2011, Az. 7 AZR 375/10.

Trotz vielfacher und scharfer Kritik zahlreicher Fachleute behielt der 7. Senat diese Rechtsprechung bei – bis zum Jahr 2018.

Kehrtwende im Jahr 2018: Das BVerfG kippt die Rechtsprechung des BAG

Mit Beschluss vom 06. Juni 2018 (1 BvL 7/14) kippte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtsprechung des 7. Senats des BAG und attestierte diesem eine verfassungswidrige Rechtsfortbildung. Zwar gebe der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG alleine nicht zwingend vor, ob jede oder nur die in zeitlichem Zusammenhang stehende Vorbeschäftigung einer sachgrundlosen Befristung entgegensteht. Gleiches gelte für die Gesetzessystematik. Allerdings zeigten die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte demgegenüber deutlich auf, welche gesetzgeberische Konzeption der Norm zugrunde liegt. Das BVerfG stellte klar:

[…] Diese Ausführungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung zeigen, dass zur Verhinderung von Kettenbefristungen den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung grundsätzlich nur einmal eröffnet werden sollte. Jedes frühere Arbeitsverhältnis sollte von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG unabhängig davon erfasst werden, wie lange es zurückliegt. […]

Auszug aus BVerfG Beschl. v. 06. Juni 2018, Az. 1 BvL 7/14.

Dennoch sah auch das BVerfG Einschränkungen von dem Grundsatz, dass zunächst jedes in der Vergangenheit liegende Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber zu einem Verbot der sachgrundlosen Befristung bei erneuter Einstellung führen sollte. Nach Auffassung des Gerichts ist das Verbot in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfasungskonform so auszulegen, dass es nicht eingreift, wenn das frühere Arbeitsverhältnis

  • sehr lange zurückliegt,
  • ganz anders geartet war, oder
  • von sehr kurzer Dauer war.

[…] Jedoch ist ein Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber unzumutbar, soweit eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Der mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfolgte Schutzzweck kann in diesen Fällen das Verbot einer sachgrundlos befristeten Wiedereinstellung nicht rechtfertigen, soweit das legitime Interesse der Arbeitssuchenden an einer auch nur befristeten Beschäftigung und das ebenfalls legitime Flexibilisierungsinteresse der Arbeitgeber entgegensteht. Das sich sonst in der Auslegung des ArbG aus § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ergebende Verbot der sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrags kann insbesondere unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. […]

Auszug aus BVerfG Beschl. v. 06. Juni 2018, Az. 1 BvL 7/14.

In den weiteren Entscheidungsgründen nennt das BVerfG beispielhaft geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- oder Studienzeit, Werkstudierende und studentische Mitarbeiter im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung oder eine erzwungene oder freiwillige Unterbrechung der Erwerbsbiographie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergeht. Offen blieb aber zunächst, welche konkreten Voraussetzungen insbesondere an eine „sehr lange zurückliegende“ Vorbeschäftigung zu stellen sind.

Das BAG muss einlenken – und konkretisiert die Vorgaben des BVerfG

Dem zwischenzeitlich neu besetzten 7. Senat des BAG blieb nach den Vorgaben des BVerfG nichts anderes, als seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben und die neuen Vorgaben zur verfassungskonformen Auslegung von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch eigene Überlegungen zu konkretisieren.

Die „sehr lange zurückliegende“ Vorbeschäftigung

So hat der 7. Senat des BAG in seinen Urteilen vom 23. Januar 2019 (7 AZR 733/16) und 17. April 2019 (7 AZR 323/17) herausgearbeitet, dass die erste vom BVerfG genannte Ausnahme vom Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG voraussetzt, dass das Vorbeschäftigungsverhältnis mit demselben Arbeitgeber nicht nur lange, sondern vielmehr sehr lang zurückliegen muss. Das kann nach Ansicht des 7. Senats bei einem Zeitraum von acht Jahren oder 15 Jahren nicht angenommen werden. Aufgrund dieses Zeitablaufs sei das Verbot der sachgrundlosen Befristung für die Arbeitsvertragsparteien nicht unzumutbar. Zwar dürfte bei dieser Zeitspanne eine Gefahr der Kettenbefristung eher gering sein. Allerdings würde die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung bei einer erneuten Einstellung acht oder 15 Jahren nach dem Ende der Vorbeschäftigung den Zweck, das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, gefährden. Arbeitnehmer, deren soziale Sicherung und insbesondere auch die Versorgung im Alter maßgeblich an die Erwerbstätigkeit anknüpe, seien auf langfristige und unbefristete Arbeitsverhältnisse angewiesen.

Der 7. Senat lässt sich bei dieser Argumentation von der Überlegung leiten, dass ein Erwerbsleben typischerweise 40 Jahre umfasst. In diesem Zeitraum kann ein Arbeitgeber bei einer 15 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung jedenfalls drei sachgrundlos befristete Arbeitsverträge von jeweils zweijähriger Dauer mit demselben Arbeitnehmer abschließen. Damit wäre die sachgrundlose Befristung nach Ansicht des 7. Senats nicht mehr die Ausnahme.

Anders bei einer 22 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung. Hier soll das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht gelten, weil bei dieser Zeit die Gefahr einer Kettenbefristung nicht mehr bestehe. Der Ausnahmecharakter der sachgrundlosen Befristung bleibe gewährleistet, wenn dieselben Arbeitsvertragsparteien nach 22 Jahren erneut einen weiteren Arbeitsvertrag mit einer sachgrundlosen Befristung abschließen können. Eine nochmalige – dritte – Einstellung des Arbeitnehmers wäre daher stets unzulässig.

Die „ganz anders geartete“ Tätigkeit

In seinem Urteil vom 17. April 2019 hat der 7. Senat zudem erläutert, dass eine „ganz anders geartete“ Tätigkeit vorliegt, wenn die im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis geschuldete Tätigkeit Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert, die sich wesentlich von denjenigen unterschieden, die für die Vorbeschäftigung erforderlich gewesen wären, wobei ein sehr strenger Maßstab anzulegen ist. Bei einer ursprünglichen Tätigkeit als Produktionshelfer und anschließendem Einsatz als Maschinenbediener soll dies beispielsweise nicht gelten.

Die Vorbeschäftigung von „sehr kurzer Dauer“

Zur Beantwortung der Frage, wann eine Vorbeschäftigung von „sehr kurzer Dauer“ vorliegt, hat sich der 7. Senat im Urteil vom 17. April 2019 den aus § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BGB und § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ersichtlichen Wertungen des Gesetzgebers bedient. Der Gesetzgeber sehe danach ein Arbeitsverhältnis von höchstens drei monatiger Dauer als so kurz an, dass ein schwächerer Bestandsschutz gerechtfertigt erscheint. Aus diesem Grund sei es nach§ 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BGB zulässig, eine kürzere Kündigungsfrist als die gesetzliche vorgeschriebene Mindestfrist von vier Wochen zu vereinbaren. Auch in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV verknüpfe der Gesetzgeber einen geringeren (sozialversicherungsrechtlichen) Schutz des Beschäftigten mit einem höchstens dreimonatigen Bestand des Beschäftigungsverhältnisses.

Möglichkeit einer Gesamtbetrachtung?

Zuletzt hat sich der 7. Senat diese Rechtsprechung mit Urteil vom 15. Dezember 2021 (7 AZR 530/20) bestätigt. Im Streitfall lag die Vorbeschäftigung 13 Jahre zurück und dauerte zudem nur acht Wochen. Der Senat stellte klar, dass das Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG mit Blick auf die sehr kurze Beschäftigungsdauer von acht Wochen nicht eingreift:

[…] Eine Dauer des Arbeitsverhältnisses von höchstens drei Monaten stellt im Vergleich zur zulässigen Gesamtdauer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG von 24 Monaten gerade 1/8 dar. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass das LAG das im Sommer 2004 für acht Wochen bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien als ein solches von sehr kurzer Dauer angesehen hat. […]

Auszug aus BAG Urt. v. 15. Dezember 2021, Az. 7 AZR 530/20.

Die Besonderheit der im Ergebnis erwartbaren und konsequenten Entscheidung liegt darin, dass der 7. Senat die lange, wenn auch nicht „sehr lange“ Zeitspanne zwischen dem früheren Arbeitsverhältnis und dem Abschluss des sachgrundlosen Vertrags im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt hat.

[…] Zu Recht hat das LAG auch die Zeitspanne zwischen Vorbeschäftigungsverhältnis und Abschluss des sachgrundlos befristeten Vertrags in seine Gesamtbetrachtung mit einbezogen. Diesem Umstand kann besondere Bedeutung zukommen. […] Es liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums der Tatsachengerichte, die Unzumutbarkeit der Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG anzunehmen, wenn eine sehr kurze Vorbeschäftigung bei Abschluss des sachgrundlos befristeten Vertrags bereits 13 Jahre zurücklag. […]

Auszug aus BAG Urt. v. 15. Dezember 2021, Az. 7 AZR 530/20.

Fazit

Das Befristungsrecht ist nach wie vor ein wichtiges Instrument für eine flexible Personalplanung. Zugleich bestehen beim Abschluss befristeter Arbeitsverträge zahlreiche Fallstricke. Für die sachgrundlose Befristung gilt dies nach der durch das BVerfG veranlassten Rechtsprechungsänderung im Jahr 2018 in besonderem Maße. Gerade größere Arbeitgeber stehen vor dem ganz praktischen Problem, oftmals nicht (mehr) zu wissen, ob ein Bewerber in der länger zurückliegenden Vergangenheit möglicherweise schon einmal im Unternehmen beschäftigt war. Deshalb ist jedenfalls anzuraten, vor jeder Einstellung nach etwaigen Vorbeschäftigungszeiten im eigenen Unternehmen nachzufragen.

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