Wann können Versorgungszusagen abgeändert werden?

In wirtschaftlichen Krisenzeiten haben Arbeitgeber häufig ein Interesse daran, die betriebliche Altersversorgung zu ändern. Sieht die Änderung eine Verschlechterung der Versorgungszusage vor, führt dies regelmäßig zu Interessenskonflikten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern.

Die Erteilungsmöglichkeiten einer betrieblichen Versorgungszusage

Jede Zusage einer betrieblichen Versorgungszusage beruht auf einem rechtlichen Begründungsakt. Hierbei gilt es zwischen kollektivrechtlichen Vereinbarungen sowie individualrechtlichen Vereinbarungen zu unterscheiden.

Kollektivrechtliche Rechtsgrundlagen sind:

  • Tarifvertrag
  • Betriebsvereinbarung
  • Richtlinie/Vereinbarung
  • Nach dem Sprecherausschussgesetz

Individualrechtliche Vereinbarungen mit Kollektivbezug:

  • Gesamtzusage
  • Vertragliche Einheitsregelung
  • Betriebliche Übung

Vereinbarungen ohne Kollektivbezug:

  • Einzelzusage.

Die Unterscheidung zwischen individualrechtlichen Vereinbarungen mit und ohne kollektivrechtlichen Bezug bedarf einer näheren Betrachtung. Denn der rechtliche Begründungsakt ist maßgeblich für die Voraussetzungen einer späteren Änderung der erteilten Versorgungszusage.

Eine Gesamtzusage ist die an alle Mitarbeiter des Betriebs oder an bestimmte Mitarbeitergruppen in allgemeiner Form gerichtete ausdrückliche Willenserklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Das in der Zusage liegende Angebot wird ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags. Die Gesamtzusage hat einen kollektivrechtlichen Charakter. Der Gesamtzusage vergleichbar ist die vertragliche Einheitsregelung. Der Arbeitgeber trifft mit der gesamten Belegschaft oder mit bestimmten Mitarbeitergruppen Vereinbarungen, die inhaltlich auf gleichen Grundsätzen beruhen. Unterschiede zur Gesamtzusage bestehen im Zustandekommen der Vereinbarung sowie in der Zahl der Vertragstexte. Denn bei einer Gesamtzusage liegt regelmäßig nur ein Zusagetext vor, der auf eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen Anwendung findet. Bei einer vertraglichen Einheitsregelung hingegen bestehen viele Zusagetexte, die inhaltlich auf gleichen Grundsätzen beruhen. Die vertragliche Einheitsregelung weist einen kollektivrechtlichen Bezug auf. Im Gegensatz zur Gesamtzusage sowie zur vertraglichen Einheitsregelung hat eine Einzelzusage keinen kollektivrechtlichen Charakter. Bei einer Einzelzusage handelt es sich um eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien, die durch Angebot und Annahme zustande kommt. Bei Zustandekommen der Vereinbarung werden die Regelungen Bestandteil des Arbeitsvertrages.

Eine weitere Rechtsgrundlage für die Erteilung einer betrieblichen Versorgungszusage ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Dies hat das Bundesarbeitsgericht zuletzt in der Entscheidung vom 03. Juni 2020 (3 AZR 730/19) klargestellt. Ein Arbeitnehmer verlangte Zahlungen aus einer betrieblichen Altersversorgung in der Höhe, in welcher der Arbeitgeber einer bestimmten Mitarbeitergruppe des Betriebs eine betriebliche Altersversorgung durch Gesamtzusage erteilt hat. Der klagende Arbeitnehmer war nach Ansicht seines Arbeitgebers von der Gesamtzusage ausgeschlossen. Das Gericht entschied, dass sich der Arbeitnehmer auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit der erteilten individualrechtlichen Vereinbarung stützen kann. Nach Ansicht des Gerichts bildet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Anspruchsgrundlage, die auf ungleich behandelnde Regelungen in Gesamtzusagen Anwendung findet.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine verschlechternde Abänderung betrieblicher Versorgungszusagen möglich?

Möchte der Arbeitgeber eine erteilte Versorgungszusage zu Ungunsten der Arbeitnehmer ändern, ist dies einseitig nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Für die Frage der Zulässigkeit ist der rechtliche Begründungsakt maßgeblich.

Betriebsvereinbarung

Eine Verschlechterung der betrieblichen Versorgungszusage, die durch Betriebsvereinbarung begründet ist, kann durch Kündigung der Betriebsvereinbarung oder durch eine ablösende Betriebsvereinbarung erreicht werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. März 2019 (3 AZR 201/17) klargestellt. In dieser Entscheidung vertritt das Gericht die Rechtsauffassung, dass ablösende Betriebsvereinbarungen, die in die Höhe von Versorgungsanwartschaften eingreifen, anhand eines dreistufigen Prüfungsschemas (sogenannte Drei-Stufen-Theorie) zu beurteilen sind.

Nach dieser Theorie werden die Versorgungsansprüche und -anwartschaften (sogenannte Besitzstände der Arbeitnehmer) in drei Stufen eingeteilt:

  • Erste Stufe des Besitzstandes: Erdiente Anwartschaft (statischer Wert)
  • Zweite Stufe des Besitzstandes: Erdiente Dynamik der Anwartschaft
  • Dritte Stufe des Besitzstandes: Erdienbare Zuwächse

Je nach Stufe, in die durch die abändernde oder ablösende Betriebsvereinbarung eingegriffen wird, hat der Arbeitgeber unterschiedliche Gründe darzulegen.

Die erste Stufe des Besitzstandes ist grundsätzlich unantastbar. Eine Ausnahme bildet das Vorliegen zwingender Gründe. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts kann sich der Arbeitgeber auf zwingende Gründe in der Regel dann berufen, wenn die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen.

Eingriffe in die zweite Stufe sind zulässig, wenn triftige Gründe vorliegen. Einen triftigen Grund hat das Bundesarbeitsgerichts in einem Fall angenommen, in dem sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens in der Weise verschlechtert hat, dass ein unverändertes Fortbestehen der Versorgungsregelung eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens zur Folge gehabt hätte.

Für einen Eingriff in die dritte Stufe genügen sachlich-proportionale Gründe. Hierunter versteht das Bundesarbeitsgerichts willkürfreie, nachvollziehbare und anerkennenswerte Gründe des Arbeitgebers. Denn die erdienbaren Zuwächse der dritten Stufe genießen einen geringeren Vertrauensschutz als die erdienten Anwartschaften, da sie das Entgelt für erst künftig zu erbringende Betriebstreue des Arbeitnehmers darstellen.

Tarifvertrag

Tarifverträge können durch abändernde Tarifverträge verschlechtert werden, denn im Verhältnis zweier tarifvertraglicher Regelungen über denselben Gegenstand gilt das Ablösungsprinzip. Etwas anderes gilt im Falle der Kündigung eines Tarifvertrags. Nach § 4 Abs. 5 TVG bleiben Normen des Tarifvertrags nach einer Kündigung rechtswirksam, bis sie durch neue tarifliche Regelungen ersetzt werden (sogenannte Nachwirkung). Ähnliches gilt im Falle eines Verbandsautritts. Hier kommt es gemäß § 3 Abs. 3 TVG zu einer Nachbindung des Tarifvertrags. Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

Eine Verschlechterung mittels individualrechtlicher Maßnahmen ist nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 S. 1 TVG zulässig. Die Vorschrift setzt voraus, dass die Tarifvertragsparteien die individualvertragliche Vereinbarung in einem Vergleich gebilligt haben. Eine Verschlechterung durch Betriebsvereinbarung ist nur dann möglich, wenn der Tarifvertrag eine Öffnungsklausel nach § 4 Abs. 3 TVG enthält, welche abweichende Regelungen durch die Betriebsparteien auch zu Lasten der Arbeitnehmer zulässt.

Individualzusage mit kollektivrechtlichem Bezug

Zur Frage, ob Individualzusagen mit kollektivem Bezug durch Betriebsvereinbarung zu Ungunsten der Arbeitnehmer geändert werden können, hat das Bundesarbeitsgericht 2015 eine wegweisende Entscheidung getroffen (BAG 10. März 2015 – 3 AZR 56/14). In diesem Urteil hat das Gericht von seiner bisherigen Rechtsprechung Abstand genommen. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht die Rechtsauffassung vertreten, dass individualrechtliche Versorgungszusagen mit Kollektivbezug zu Ungunsten der Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen durch Betriebsvereinbarung geändert werden können. Voraussetzung für eine verschlechternde Abänderung war, dass die Individualzusage ausdrücklich die Möglichkeit einer kollektivrechtlichen Verschlechterung vorsah. Weiter muss für eine verschlechternde Neuregelung eine wesentliche Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen (BAG 16. September 1986 – GS 1/82). Diese strengen Voraussetzungen führten in der Praxis regelmäßig dazu, dass einmal erteilte Gesamtzusagen kaum der Änderung zugänglich waren.

In dem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2015 hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass Versorgungszusagen in Form einer Gesamtzusage durch Betriebsvereinbarung zu Ungunsten der Arbeitnehmer in den Grenzen der Drei-Stufen-Theorie geändert werden können. Der Arbeitgeber sichere mit einer Gesamtzusage regelmäßig eine Versorgung nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregeln zu. In Abkehr zur bisherigen Rechtsprechung sieht das Gericht in einer solchen Gesamtzusage eine dynamische Zusage, welche die Möglichkeit für eine Ablösung auf kollektivrechtlicher Ebene eröffnet. Dies bedeutet, dass Gesamtzusagen regelmäßig durch Betriebsvereinbarung geändert beziehungsweise abgelöst werden können. Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber in der Gesamtzusage klar zum Ausdruck bringt, dass sich die Versorgung ausschließlich nach den bei Erteilung der Gesamtzusage geltenden Versorgungsbedingungen richtet.

Diese Rechtsgrundsätze finden auch auf Fälle entsprechend Anwendung, in denen Versorgungszusagen in Form einer betrieblichen Übung oder einer vertraglichen Einheitsregelung durch Betriebsvereinbarung abgeändert werden. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht für den Fall von Versorgungszusagen in Form einer betrieblichen Übung mit Urteil vom 23. Februar 2018 (3 AZR 44/14), sowie für den Fall einer vertraglichen Einheitsregelung mit Urteil vom 11. Dezember 2018 (3 AZR 380/17).

Individualzusage ohne kollektivrechtlichen Bezug

Individualzusagen ohne kollektivrechtlichem Bezug können aufgrund des Günstigkeitsprinzips nicht durch Betriebsvereinbarung geändert werden. 2016 hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass im Verhältnis von individualvertraglich begründeten Ansprüchen und anspruchsbegründenden Normen einer Betriebsvereinbarung – auch im Falle von betrieblichen Versorgungszusagen – das Günstigkeitsprinzip gilt (BAG 19. Juli 2016 – 3 AZR 134/15). Hierunter versteht man eine Kollisionsregel, wonach stets die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung anzuwenden ist. Möchte der Arbeitgeber eine einzelvertraglich gewährte Versorgungszusage durch Betriebsvereinbarung ablösen, ist ein sogenannter Günstigkeitsvergleich durchzuführen. Dieser ist in dem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem die normativ geltenden Regelungen der Betriebsvereinbarung mit der abweichenden vertraglichen Regelung erstmals kollidieren. Stellt sich heraus, dass die einzelvertraglich vereinbarte Versorgungszusage für den Arbeitnehmer günstiger ist,  treten die unmittelbar und zwingend geltenden Normen der Betriebsvereinbarung hinter den einzelvertraglichen Vereinbarungen zurück.

Fazit

Durch die Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2015 wird Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnet, Gesamtzusagen ohne Vorbehalt durch Betriebsvereinbarung abzuändern. Dabei sind materiell die Grenzen der Drei-Stufen-Theorie einzuhalten. Die Theorie findet immer dann Anwendung, wenn eine betriebliche Versorgungszusage durch Betriebsvereinbarung abgeändert wird. Sie dient als Maßstab der Inhaltskontrolle für abändernde und ablösende Betriebsvereinbarungen, sofern diese in die Höhe der Versorgungsanwartschaft eingreifen (BAG 11. Juli 2017 – 3 AZR 601/16). Andere Eingriffe in Versorgungsanwartschaften sind unmittelbar an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu messen. Ebenso ist die Änderung betrieblicher Versorgungszusagen durch Änderungs- und Verzichtsverträge sowie durch ablösende oder abändernde Tarifverträge unmittelbar an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu prüfen. Die Drei-Stufen-Theorie findet in diesen Fällen keine Anwendung.

 

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