Agile Organisationsstrukturen – Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Transformation

Die Transformation von hierarchischen Strukturen hin zu einer agilen Arbeitsorganisation ist als Instrument zur Flexibilisierung und Innovationsförderung in aller Munde. Zielsetzung der Transformation ist in erster Linie die Beschleunigung von internen Prozessen und die bedarfsorientierte Bündelung von Kompetenzen. Dadurch soll die Innovationsfähigkeit des Unternehmens gesteigert, Kundenwünsche schneller umgesetzt und Produkte schneller und kosteneffizienter entwickelt werden.

Doch die Begeisterung über die Möglichkeiten einer agilen Arbeitswelt wird nicht von allen Stakeholdern uneingeschränkt geteilt. Gewerkschaften und insbesondere Betriebsräte stehen der Einführung agiler Strukturen häufig kritisch gegenüber und verweisen auf ihre Mitbestimmungsrechte. Die Umsetzung wird damit schnell zur Belastungsprobe für den Betriebsfrieden.

Arbeitgeber sollten sich daher frühzeitig mit der Frage auseinandersetzen: Wo darf der Betriebsrat mitreden – und wo nicht?

Wodurch zeichnen sich agile Organisationsstrukturen aus?

Der Passus „agiles Arbeiten“ beschreibt Organisations- und Arbeitsformen, die Betriebe und Unternehmen flexibler gestalten sollen.

In betriebsorganisatorischer Hinsicht zeichnet sich agiles Arbeiten maßgeblich durch die Abschaffung oder Abschwächung von hierarchischen Strukturen aus. An die Stelle von starren Berichtslinien („Top-Down-Management“) tritt eine selbstorganisierte Netzwerkorganisation, die laufend an veränderte Anforderungen angepasst wird. Neben den Modellen, die eine (nahezu) vollständige Abschaffung von Hierarchien vorsehen, existieren auch sog. hybride Modelle, die auf ein Nebeneinander von agilen und hierarchischen Organisationsformen abzielen. Hier werden die agilen Strukturen bspw. nur in den Entwicklungsbereichen und in Bereichen mit innovativen Projekten umgesetzt, während das operative Geschäft und Bereiche mit hohem Routineanteil hierarchisch organisiert bleiben.

Die agile Aufbauorganisation wird durch sog. agile Arbeitsmethoden flankiert, die die Flexibilisierung auf der Arbeitsebene umsetzen sollen. Die bekannteste und am weitesten verbreitete agile Arbeitsmethode ist das sog. Scrum. Eine von der Bitkom Research GmbH durchgeführte Analyse hat ergeben, dass 79% der deutschen Unternehmen, die agile Arbeitsmethoden anwenden, auf Scrum setzen. In der Industrie sind es sogar 84% der Unternehmen (die Analyse ist abrufbar unter: https://www.bitkom-research.de/de/pressemitteil-ung/scrum-koenig-unter-den-agilen-methoden).

Agile Transformation als Betriebsänderung

Der (partielle) Wechsel von einer hierarchischen Organisation hin zu einer agilen Aufbau- bzw. Netzwerkorganisation stellt regelmäßig eine Betriebsänderung im Sinne von §§ 111, 112 BetrVG dar und erfordert deshalb idR den Versuch eines Interessenausgleichs und ggf. die Aufstellung eines Sozialplans.

Eine Betriebsänderung liegt potenziell gleich unter mehreren Gesichtspunkten vor.

Die Abschaffung hierarchischer Strukturen wird typischerweise eine Änderung des Aufbauorganigramms erfordern oder – zumindest faktisch – eine Verschiebung oder Dezentralisierung von Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichen nach sich ziehen. Damit ist der Tatbestand einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG erfüllt.  (s. bspw. BAG 18. März 2008 – 1 ABR 77/06;  zum Wegfall einer oder mehrerer Hierarchieebenen vgl. auch BAG 26. Oktober 2004 – 1 AZR 493/03).

Eine Betriebsänderung kann aber auch vorliegen, wenn die Aufbauorganisation unberührt bleibt und – sofern dies im jeweiligen Modell denkbar ist – innerhalb bestehender Organisationseinheiten lediglich agile Arbeitsmethoden wie z.B. Scrum eingeführt werden. Dafür spricht, dass diese Arbeitsmethoden häufig durch Gruppenarbeit umgesetzt werden. In der Rechtsprechung und der einschlägigen Fachliteratur ist es anerkannt, dass die Einführung von Gruppenarbeit mit der Einführung von grundlegend neuen Arbeitsmethoden im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG gleichzusetzen ist.

Zwar setzen beide Mitbestimmungstatbestände (§ 111 Satz 3 Nr. 4 und Nr. 5 BetrVG) eine „grundlegende“ Änderung voraus. Es kann allerdings idR unterstellt werden, dass die Einführung einer agilen Organisation erhebliche qualitative Auswirkungen auf einen erheblichen Teil der Belegschaft hat, so dass dieses Merkmal erfüllt ist. So dürfte zum einen die Anzahl der von der Organisationsänderung betroffenen Mitarbeiter die relevanten Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG häufig überschreiten. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die mit der Einführung der agilen Arbeitsmethoden verbundene Änderung von Tätigkeitsbildern bspw. auch vergütungsrelevant sind („Gefahr der Herabgruppierung“). Ob dieser oder andere Nachteile tatsächlich eintreten oder beabsichtigt sind ist für den Mitbestimmungstatbestand irrelevant.

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten

Die Einführung von agilen Arbeitsmethoden kann darüber hinaus weitere Mitbestimmungstatbestände, insbesondere aus dem Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG erfüllen.

Mitbestimmung bei den Grundsätzen über die Durchführung von Gruppenarbeit

Gruppenarbeit im im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG liegt vor, wenn eine Gruppe von Arbeitnehmern innerhalb eines betrieblichen Arbeitsablaufs eine ihr übertragene Aufgabe hauptsächlich eigenverantwortlich erledigt. Der Gruppenbegriff setzt voraus, dass den in der organisatorischen Gemeinschaft der Arbeitsgruppe zusammengefassten Arbeitnehmern für eine gewisse Dauer eine Gesamtaufgabe zur Erfüllung übertragen wird. Das Ergebnis der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer in der Arbeitsgruppe muss ein abgrenzbares, in sich abgeschlossenes Gesamtergebnis der Gruppe darstellen. Kennzeichnend für eine solche Gruppenarbeit ist, dass die Arbeitnehmer eine gemeinsame Verantwortung für die zu erbringende Arbeitsleistung tragen. Die Arbeitnehmer der Gruppe müssen befugt sein, die täglichen Arbeitsabläufe selbstständig zu regeln, d.h. zur Erfüllung der ihnen übertragenen Gesamtaufgabe die notwendigen Arbeitsschritte im Rahmen der betrieblichen Vorgaben selbstständig zu planen, zu steuern, unter den Arbeitnehmern der Gruppe zu verteilen und das Ergebnis zu kontrollieren. Die Bewältigung der Arbeitsaufgaben muss weitgehend ohne Ausübung von Weisungsrechten durch den Arbeitgeber erfolgen. Eine lediglich überwiegend eigenverantwortliche Erledigung der Gesamtaufgabe reicht nicht aus.

Ob und inwieweit agile Arbeitsmethoden unter diesen Tatbestand fallen, ist dementsprechend abhängig von der konkreten Ausgestaltung. So kann eine Vermischung von agilen Elementen mit klassischen Arbeitsmethoden wie z.B. die Zuweisung von festen Rollen gegen die Annahme einer Gruppenarbeit sprechen. Selbst bei der Durchführung einer Scrum-Methode kann das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts fraglich sein, wenn es sich bei den von der Gruppe entwickelten Produktteilen nicht um ein abgeschlossenes Gesamtergebnis handelt, das von der Gruppe gemeinsam verantwortet wird.

Wichtig ist, dass sich der Mitbestimmungstatbestand in § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG in Abgrenzung zur Mitbestimmung nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG nicht auf die Einführung und Beendigung von Gruppenarbeit, sondern nur auf deren Durchführung bezieht. Eine Regelung über die Einführung der Gruppenarbeit kann von dem Betriebsrat deshalb nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden, wohl aber eine Regelung über deren konkrete Ausgestaltung.

Weitere Mitbestimmungstatbestände

Ob und inwieweit weitere Mitbestimmungstatbestände aus dem Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG einschlägig sein können, hängt ebenfalls von der konkreten Ausgestaltung der agilen Arbeitsorganisation und -methoden ab.

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang insbesondere flexible Raumkonzepte wie Desk-Sharing oder Open-Space-Offices, die häufig gemeinsam mit einer agilen Arbeitsorganisation eingeführt werden. Die Einführung von Desk-Sharing kann nach Ansicht des LAG Düsseldorf sogar den Tatbestand einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG erfüllen (LAG Düsseldorf 09. Januar 2018 – 3 TaBVGa 6/17). Ob darüber hinaus das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG einschlägig ist, ist streitig (bejahend ArbG Frankfurt a.M. 08. Januar 2003 – 2 BVGa 587/02; a.A. aber LAG Düsseldorf 09. Januar 2018 – 3 TaBVGa 6/17). Nach der differenzierenden und überzeugenden Ansicht des LAG Nürnberg ist die Einführung von Desk-Sharing jedenfalls dann mitbestimmungspflichtig, wenn dessen Einführung mit Anordnungen zur Ausgabe von Arbeitsmitteln oder einer sog. Clean-Desk-Policy einhergeht (LAG Nürnberg 14. Dezember 2016 – 4 TaBV 38/16). Ferner kommt bei der Umgestaltung betrieblicher Räumlichkeiten zum Zwecke der Flexibilisierung auch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder Unfallverhütungsvorschriften in Betracht.

Sofern der Arbeitgeber Auswahlkriterien für die Besetzung von neuen agilen Rollenprofilen festlegt, hat er ggf. das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 95 Abs. 1 und 2 BetrVG zu beachten. Der Betriebsrat kann zudem nach § 93 BetrVG verlangen, dass zu besetzende Arbeitsplätze vor ihrer Besetzung im Betrieb ausgeschrieben werden.

Wann ist die Umgestaltung von Anforderungsprofilen eine Versetzung?

Schließlich kommt der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen, insbesondere bei Versetzungen im Sinne von §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG unter Umständen eine große Bedeutung zu. Ob eine Versetzung in diesem Sinne vorliegt, muss im Einzelfall bewertet werden. Ausgangspunkt der Prüfung ist dabei stets die Frage, ob die konkrete Mitarbeit in einem Team bzw. die Zuweisung einer agilen Rolle die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs für die Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat darstellt oder mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsorganisation verbunden ist.

Der Mitbestimmungstatbestand des § 99 Abs. 1 BetrVG kann unter dieser Prämisse beispielsweise einschlägig sein, wenn

  • ein Mitarbeiter erstmals (und auf Dauer) einer „hierarchielosen Einheit“ zugeordnet wird,
  • der Mitarbeiter zwischen einer „hierarchielosen Einheit“ und einer hierarchisch strukturierten Organisationseinheit hin- und her wechselt, es seidenn, dass dies für die (vertraglich) geschuldete Tätigkeit wesensprägend ist,
  • je nach Aufgabe und Projekt innerhalb der „hierarchielosen Einheit“ eine Änderung der Hauptaufgaben erfolgt bzw. wesentliche Teilaufgaben ergänzt oder entzogen werden.

Fazit

Unabhängig davon, welche Mitbestimmungstatbestände von der Einführung einer agilen Arbeitsorganisation betroffen sind, müssen Arbeitgeber damit rechnen, dass Arbeitnehmervertreter ihre Rechte bei der Ausgestaltung Gebrauch machen werden. Damit die Einführung unter diesen Umständen gelingt ist es daher unerlässlich, dass die beabsichtige Konzeption für die agilen Organisationsstruktur und die agilen Arbeitsmethoden im Vorfeld detailliert ausgearbeitet und auf ihre arbeitsrechtliche Relevanz und Machbarkeit hin geprüft wird.

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