Fristlose Kündigung wegen Weiterleitung einer E-Mail an Dritte
Wann kann die Kopie und Weiterleitung einer E-Mail an Dritte durch den Arbeitnehmer einen Kündigungsgrund darstellen? Diese höchst praxisrelevante Frage ist in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bis heute nur striefmütterlich behandelt. Das hierzu ergangene Urteil des LAG Köln vom 02. November 2021 (Az. 4 Sa 290/21) ist aber nicht nur wegen seiner präzedenziellen Bedeutung lesenswert – sondern auch wegen des außergewöhnlichen Sachverhalts, über den es zu entscheiden hatte.
Was war geschehen?
Gekündigt wurde eine Arbeitnehmerin (Klägerin), die seit 1997 bei ihrem Arbeitgeber (Beklagte), der Teil der Evangelischen Kirche ist, als Küsterin und in der Verwaltung/Buchhaltung tätig ist. Sie hatte dabei Zugriff auf das E-Mail-Konto der Kirchengemeinde.
Im Jahr 2019 gewährte die Beklagte einer Frau Kirchenasyl. Ein ebenfalls bei der Beklagten angestellter Pfarrer hatte mit dieser Frau eine Beziehung, deren Art zwischen den Parteien im Streit steht. Im Oktober 2019 unternahm die Frau einen Suizidversuch.
Anfang November 2019 übersandte der Superintendent der Beklagten an den Pfarrer eine E-Mail an die E-Mailadresse seiner Kirchengemeinde. In dieser E-Mail erklärte der Superintendent, dass sich die Frau im Kirchenasyl befinde. Zudem soll der Pfarrer nach Behauptung der Kläger in der E-Mail auf das gegen ihn laufende Ermittlungsverfahren wegen eines möglicherweise strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens in Umgang mit der im Kirchenasyl befindlichen Frau hingewiesen worden sein.
Mitte November 2019 griff die Klägerin auf das E-Mail-Konto der Beklagten zu, las diese E-Mail und druckte sie aus. Des Weiteren öffnete die Klägerin im E-Mail-Konto der Beklagten eine E-Mail mit der Bezeichnung „Chatverlauf Ca “ (Name für die im Kirchenasyl befindliche Frau), kopierte die Datei mit dem angehängten Chatverlauf auf einem USB-Stick. Nach ca. einer Woche ließ die Klägerin einem Gemeindemitglied den USB Stick und den Chatverlauf zukommen. Das Gemeindemitglied war zu diesem Zeitpunkt Gemeindemitglied und gestaltete Gottesdienste mit. Später übergab die Klägerin den Chatverlauf an die Staatsanwaltschaft.
Nachdem die Beklagte von dem Vorgang Kenntnis erlangte, sprach sie eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Dagegen erhob die Klägerin Kündigugnsschutzklage. Sie vertedigte sich mit dem Einwand, dass sie die im Kirchenasyl befindliche Frau, welche sich zuvor gegenüber ihrem Ehemann und dem Gemeindemitglied bereits hinsichtlich der „sexuellen Übergriffigkeit“ des Pfarrers unter Ausnutzung ihrer verzweifelten Lage anvertraut hatte, habe schützen und Beweise sichern wollen.
Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Zwar liege ein Grund vor, der an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtige, allerdings wäre unter Berücksichtigung des Sachverhalts aus subjektiver Sicht der Klägerin eine Abmahnung eine angemessene Reaktion auf das Fehlverhalten gewesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
LAG Köln: Fristlose Kündigung ist wirksam!
Das LAG Köln gab der Berufung statt und erklärte die außerordentliche fristlose Kündigung für wirksam.
Diese könne auf einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB gestützt werden.
Dabei hat das LAG betont, dass die rechtswidrige Datenverarbeitung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis, die mit Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa von Arbeitskollegen einhergeht, bei entsprechender Schwere des Verstoßes dazu geeignet sein kann, „an sich“ einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer Kündigung auszumachen, auch wenn die in Rede stehenden Daten nicht dem Schutzbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen unterliegen.
Die Klägerin war nur zum Zugriff auf das E-Mailkonto im zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendigen Umfang berechtigt. Soweit die Klägerin an den Pfarrer adressierte Emails und seine privaten Emailanhänge geöffnet hat, hat sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Pfarrers verletzt. Bereits das Öffnen und Lesen der Emails begründe eine Pflichtverletzung. Dies gelte völlig unabhängig davon, ob diese gezielt gesucht oder zufällig entdeckt wurden. Durch den Ausdruck und das Anfertigen von Kopien habe die Klägerin weitere Pflichtverstöße begangen. Schließlich habe die Weitergabe der rechtswidrig erlangten Daten die vorherigen Verstöße vertieft.
Vor diesem Hintergrund habe es – trotz der langjährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin von 23 Jahren – auch keiner Abmahnung bedruft. Durch keine der vorgenommenen Handlungen sei die Klägerin imstande gewesen, ihre Zielsetzung zu erreichen – wder mit dem Lesen, dem Ausdrucken, Kopieren oder der Weitergabe der Daten. Das LAG hielt auch weitere gleichartige Pflichtverstöße in Zukunft für möglich, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dasss sich bei der Klägerin auf Grundlage einer einseitigen Sachverhaltsschilderung subjektiv erneut eine Drucksituation ergebe, die sie dazu bewegt, ihre arbeitsvertraglich geschuldeten Nebenpflichten und Datenschutzrechte zu verletzten, um mit ihrem Verhalten ihrer vermeintlichen Pflicht als Staatsbürgerin und als Mitglied der Kirchengemeinde nachzukommen.
Fazit
Die Entscheidung ist in der Sache richtig und für die Praxis bedeutsam. Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine rechtswidrige Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis – wie das unbefugte Kopieren und Weiterleiten von E-Mail-Korrespondenz – selbst dann eine außerordentliche Kündigung begründen kann, wenn kein Geschäftsgeheimnis im Sinne von § 2 Abs. 1 GeschGehG berührt ist. Dies kann in vergleichbaren Fällen zu erheblichen Erleichterungen des Arbeitgebers hinsichtlich seiner Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess führen, da etwa darauf verzichtet werden kann, näher zu den Voraussetzungen eines Geschäftsgeheimnisses vorzutragen.