Was gilt bisher?
Die Anzeige- und Nachweispflichten sind in § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG oder EntgFG) geregelt. Danach sind Arbeitnehmer aktuell noch dazu verpflichtet, ihrem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer spätestens am darauffolgenden Arbeitstag, also spätestens am vierten Krankheitstag, vorzulegen. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wird in Papierform vom Arzt ausgestellt und an den Arbeitnehmer übergeben. Man spricht umgangssprachlich auch vom „gelben Schein“. Der Arbeitnehmer ist für die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verantwortlich. Er muss die Bescheinigung als Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit seinem Arbeitgeber und seiner gesetzlichen Krankenkasse vorlegen. Nur wenn der Arbeitnehmer seine Anzeige- und Nachweispflichten erfüllt, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Andernfalls kann sich der Arbeitgeber auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen und die Entgeltzahlung einstellen (§ 7 EFZG). Solange der Arbeitnehmer seinen Pflichten nicht nachkommt, darf der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt fehlt. Dabei berechtigt ein unentschuldigtes Fehlen zum Ausspruch von Abmahnungen, das bei mehrfachen Pflichtverstößen notfalls auch zu einer Kündigung führen kann.Was ändert sich an der gesetzlichen Regelungssituation?
Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die zu diesem Zweck erfolgenden Gesetzesänderungen werden die bisherige Praxis zu weiten Teilen auf den Kopf stellen. Es erfolgen Änderungen im EFZG sowie im SGB IV und SGB V zurück. In § 5 EFZG ein neuer Absatz 1a mit folgendem Wortlaut eingefügt:Daraus folgt der Wegfall der Vorlagepflicht der AU durch den Arbeitnehmer. Während der Arbeitnehmer früher noch aktiv an der Übermittlung der AU an den Arbeitgeber und an die Krankenkasse mitwirken musste, soll künftig alles ohne sein Zutun und nahezu papierlos erfolgen. Arbeitnehmer müssen folglich nur noch ihrer Mitteilungspflicht Rechnung tragen und die Arbeitsunfähigkeit spätestens am vierten Tag beim Arzt feststellen lassen. Die Vorlagepflicht entfällt. Sie wird dadurch ersetzt, dass der Arbeitgeber die Meldung bei den Krankenkassen selbst abruft. Die Änderungen gelten aber nur für Arbeitnehmer, die gesetzlich krankenversichert sind. Für folgende Arbeitnehmer bleibt es demnach bei der bisherigen Vorlage- und Nachweispflicht (vgl. § 5 Abs. 1a Satz 3 EFZG):Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Absatz 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Absatz 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Personen, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben (§ 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) und in Fällen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.
§ 5 Abs. 1a EFZG n.F.
- Personen, die privat krankenversichert sind,
- Personen, die eine geringfügige Beschäftigte in Privathaushalten ausüben, und
- In Fällen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
Daraus folgt, dass Ärzte künftig die festgestellte Arbeitsunfähigkeit elektronisch aufzuzeichnen und an die Krankenkassen zu übermitteln haben. Schließlich sieht § 109 SGB IV n.F. folgende Änderungen für die Krankenkassen vor:Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind verpflichtet,
1. die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten,
2. in den Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Tages und, soweit für die Überprüfung der Zulässigkeit und Richtigkeit der Abrechnung erforderlich, der Uhrzeit der Behandlung, bei ärztlicher Behandlung mit Diagnosen, bei zahnärztlicher Behandlung mit Zahnbezug und Befunden,
3. in den Abrechnungsunterlagen sowie auf den Vordrucken für die vertragsärztliche Versorgung ihre Arztnummer, in Überweisungsfällen die Arztnummer des überweisenden Arztes und bei der Abrechnung von Leistungen nach § 73 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 die Arztnummer des Arztes, bei dem der Termin vermittelt wurde, sowie die Angaben nach § 291a Absatz 2 Nummer 1 bis 10 maschinenlesbar
aufzuzeichnen und zu übermitteln.
§ 295 Abs. 1 SGB V n.F.
Damit sind Krankenkassen künftig verpflichtet, nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen und den Datensatz gemäß § 109 SGB IV n.F. zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitgeber können die Daten dann bei der Krankenkasse digital abrufen.(1) Die Krankenkasse hat nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die insbesondere die folgenden Daten enthält:
1. Namen des Beschäftigten,
2. den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit,
3. das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit,
4. die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und
5. die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht.
§ 109 Abs. 1 Nr. 1-Nr. 5 SGB IV n.F.
Wie sieht der Prozess künftig konkret aus?
Zusammenfassend gilt für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer ab dem 01. Januar 2023 folgender Ablauf:- Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitteilen (telefonisch/per E-Mail) und das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren Dauer von einem Arzt feststellen lassen.
- Es erfolgt keine Ausstellung der AU in Papierform für den Arbeitgeber.
- Der behandelnde Arzt wird die AU stattdessen digital an die Krankenkasse übermitteln.
- Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich weiterhin vom Arzt eine allgemeine AU in Papierform aushändigen lassen. Gemäß der Gesetzesbegründung dient die Papierbescheinigung nur als Nachweis für Störfälle.
- Die Krankenkasse wird die AU in elektronischer Form für den Arbeitgeber abrufbar bereitstellen.
- Der Arbeitgeber erfragt bei der Krankenkasse die AU.
Welche arbeitsrechtlichen Auswirkungen haben die Änderungen?
Die Einführung der eAU hat damit Auswirkungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeiteber.Auswirkungen für Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer entfällt die Vorlagepflicht der AU beim Arbeitgeber. Bestehen bleibt aber die Pflicht, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen diese spätestens am vierten Tag ärztlich festzustellen. Zudem regelt § 5 Abs. 1a EFZG n.F., dass sich Arbeitnehmer eine allgemeine ärztliche Bescheinigung in Papierform aushändigen lassen müssen. Der Gesetzgeber erklärt dieses Erfordernis in der Gesetzbegründung mit dem Erhalt des Beweiswertes der eAU.„Damit bleibt dem Arbeitnehmer die Papierbescheinigung als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert erhalten, um insbesondere in Störfällen (etwa einer fehlgeschlagenen Übermittlung im elektronischen Verfahren) das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung nach § 3 außerprozessual und prozessual nachzuweisen.“
BT-Drucks. 19/13959, S. 37