Betriebsbedingte Kündigung in der Konzernmatrix

Eine zunehmende Anzahl von Konzernen und Unternehmensgruppen besitzt eine Matrixorganisation. Dass damit nicht nur Vorteile sondern auch rechtliche Risiken für Arbeitgeber verbunden sind, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn vom 03. Februar 2022 (Az. 3 Ca 1698/21).

Was ist eine Matrixorganisation?

Bislang hat sich keine einheitliche Definition für den Begriff der Matrixorganisation durchgesetzt. Allerdings besteht über bestimmte Merkmale weitgehend Einigkeit. Eine Matrixorganisation zeichnet sich durch eine sogenannte Mehrlinigkeit und – unter Umständen – durch eine Mehrdimensionaltität aus. Unter dieser Grundannahme existieren in der Matrixorganisation drei Schlüsselpositionen, namentlich

  • die Matrixleitung, die leitende und steuernde Aufgaben in der Matrixorganisation wahrnimmt,
  • die Matrixmanager, die der Matrixleitung hierarchisch unterstellt sind und die einzelnen sog. Matrixzellen leiten,
  • die Matrixzellen, bei denen als Schnittellen zwischen mehreren Matrixmanagern eine Mehrfachuntestellung besteht.

Typisches Beispiel ist eine Organisation bei der nach bestimmten Funktionen und Produkten gegliedert wird:

Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Matrixorganisation#/media/Datei:Matrixorganisation.png

Zur Beschreibung einer Matrixorganisation innerhalb eines Konzerns hat das LAG Köln in seiner Entscheidung vom 22.April 2021 (Az. 6 Sa 1066/20) folgendes ausgeführt:

Matrixstrukturen sind […] so gestaltet, dass nicht jede einzelne Gruppen-/Konzerngesellschaft vertikal hierarchisch und horizontal bereichs- oder aufgabenspezifisch gegliedert ist, sondern die einzelnen Gesellschaften selbst und in ihrer Funktion als Arbeitgeber wirtschaftlich in den Hintergrund treten und vielmehr der Konzern oder die Gruppe selbst nach Aufgaben- und Funktionsbereichen gegliedert wird. In den einzelnen organisatorischen Bereichen des Konzerns/der Gruppe werden dann Mitarbeiter verschiedener Konzern-/Gruppengesellschaften gemeinsam beschäftigt. Die Berichtslinien verlaufen nicht mehr vertikal in der Anstellungsgesellschaft, sondern konzern- bzw. gruppenbezogen.“

Eine Matrixorganisation muss nicht zwangsläufig für alle Arbeitsbereiche exisitieren. Sie kann sich vielmehr auch nur auf einzelne Teilbereiche wie etwa den Personalbereich / Human Ressources erstrecken. Gerade hier kommt es immer häufiger vor, dass spezialisierte Konzerntochtergesellschaften keine eigene Personalabteilung besitzen, sondern etwa von HR-Buisnesspartnern und Personalreferenten einer Konzernmuttergesellschaft mitbetreut und geleitet werden. Die Personalabteilung der Konzernmuttergesellschaft fungiert hier als zentrale Stelle; man spricht bisweilen vom Human Ressources Shared Service Center (HR SSC). Je nach konkreter Ausgestaltung fällt auch diese Organisationsform unter den weiten Überbegriff der Matrtixorganisation.

Sachverhalt

In dem der Entscheidung des ArbG Bonn zugrundeliegenden Sachverhalt war das Vorliegen einer Matrixstruktur im Konzern zwischen den Parteien des Rechtsstreits unstreitig. Jedenfalls stand fest, dass der Arbeitsbereich des Marketing zentral und konzerneinheitlich von einer im Ausland angesiedelten Konzernmuttergesellschaft gesteuert und durchgeführt wird.

Während die Klägerin bei einer deutschen Konzerntochtergesellschaft als „Direktor, Creative Services“ beschäftigt ist, sind sowohl die der Klägerin unterstellten drei Designer als auch die Vorgesetzten der Klägerin (Chief Marketing Officer und Director Corporate Communications) im Ausland angesiedelt. Auch die Klägerin selbst war zunächst bei der Konzernmuttergesellschaft beschäftigt. Sie wechselte erst aufgrund eines Umzugs nach Deutschland zu der beklagten Konzerntochtergesellschaft, ohne dass sich ihre Tätigkeit hierdurch änderte.

Die beklagte Konzerntochter kündigte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt und trug zur Begründung vor, dass die Konzernmuttergesellschaft die von der Klägerin ausgeführten Arbeiten nicht mehr von der Beklagten, sondern künftig von ihren eigenen Mitarbeitern ausführen lasse. Da die Beklagte keine eigenen Marketingaktivitäten betreibe sei damit bei der Beklagten ein erheblicher Teil des Beschäftigungsbedarfs für die Klägerin entfallen. Die bei der Beklagten verbleibenden Arbeitsaufgaben der Klägerin würden zudem von anderen Mitarbeitern der Beklagten mit übernommen.

Arbeitsgericht Bonn: Der Beschäftigungsbedarf muss konzernweit entfallen

Das Arbeitsgericht Bonn gab der gegen die betriebsbedingte Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage statt und verwies auf einen hier ausnahmsweise bestehenden „konzernweiten Kündigungsschutz“. Die beklagte Konzerntochtergesellschaft habe nicht dargelegt, dass die Aufgaben der Klägerin innerhalb des Konzerns wegfallen.

Das Arbeitsgericht betonte dabei zunächst, dass das Kündigungsschutzgesetzes zwar grundsätzlich unternehmensbezogen und nicht konzernbezogen ist. Aufgrund besonderer Sachverhaltsgestaltungen seien aber Ausnahmefälle denkbar, in denen eine konzernbezogene Betrachtung geboten ist. In diesem Kontext verweist das Gericht auf die Rechtsprechung des BAG, wonach ein konzernweiter Kündigungsschutz insbesondere dann anzunehmen sei, wenn arbeitsvertraglich ein konzernweiter Einsatz des Arbeitnehmers vereinbart ist.

Für die Matrixstruktur werde in der Fachliteratur vertreten, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers, der aufgrund der Matrixstruktur nicht in dem Vertragsunternehmen, sondern nur im Konzernunternehmen eingegliedert worden ist, das Konzernunternehmen als „Auch-Arbeitgeber“ ebenso an die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetz gebunden ist. Soweit die Position jedoch nur vom Vertragsarbeitgeber zum weisungsgebenden Arbeitgeber verschoben werde, dürfe der „Auch-Arbeitgeber“ nicht den Wegfall des Arbeitsplatzes begründen können, sondern müsse ebenfalls freie Arbeitsplätze in seinem Unternehmen berücksichtigen.

Dieser Rechtsauffassung schließt sich das Arbeitsgericht Bonn ohne weitere Begründung an und schlussfolgert für den konkreten Fall:

„[…] Aufgrund der Matrixstruktur ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bei der Beklagten eingegliedert war. Vielmehr war die Klägerin weiterhin auch nach ihrem Wechsel zu der Beklagten unverändert in die Matrixstrukturen der Konzern-Mutter eingebunden war. […] Aufgrund der tatsächlichen Möglichkeit der Konzernmutter, die Tätigkeiten der Klägerin von der Konzernmutter auf die Beklagte und zurück wieder auf die Konzernmutter zu übertragen, ist für die Klägerin im Sinne eines Vertrauenstatbestandes eine Selbstbindung der Einheit aus Konzernmutter und Vertragsarbeitgeber entstanden mit der Folge, dass es nicht allein auf den Wegfall der Tätigkeiten der Klägerin bei der Beklagten ankommt, sondern auch zu einem Wegfall der Tätigkeiten insgesamt bei der Konzernmutter gekommen sein muss, um die Kündigung betrieblich zu rechtfertigen. Auf die Möglichkeit der Beklagten als Vertragsarbeitgeber, Einfluss auf die Weiterbeschäftigung der Klägerin bei der Konzernmutter oder einem anderen Konzernunternehmen zu nehmen, kommt es angesichts dieses Vertrauenstatbestandes nicht an. […]“

Bei der Prüfung, ob die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten entfallen sind, sei daher auf den konzerndimensionalen Verbund der Beklagten zusammen mit der Muttergesellschaft abzustellen. Schon nach dem Vortrag der Beklagten könne aber nicht erkannt werden, dass die Tätigkeiten der Klägerin im Verbund der Beklagten und der Konzernmutter entfallen sind.

Fazit

Willkommen in der Matrix. Die Entscheidung des ArbG Bonn macht deutlich, dass bei allen organisatorischen Vorteilen von Matrixorganisationen jedenfalls bei der Durchführung von Personalanpassungen auch erhebliche rechtliche Risiken lauern. Setzt sich die Rechtauffassung des ArbG Bonn auch in den höheren Instanzen durch, müssen Konzerne mit Matrixorganisationen die sich daraus ergebenden Anforderungen bei Restrukturierungsmaßnahmen bzw. dem Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen immer im Blick behalten. Die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess steigern damit unter Umständen erheblich.

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